Ethik und Tierversuche

Forschung und Wissenschaft stellen die Gesellschaft und die betroffenen Personenkreise seit jeher vor ethische Herausforderungen.  Fragestellungen, ob  die gewonnen Daten valide, nützlich und anwendbar sind, oder welche Konsequenzen die gewonnenen Erkenntnisse  für die betroffenen Personen bzw. Gesellschaft haben, werden je nach Hintergrund der verschiedenen Forschungsvorhaben regelmäßig diskutiert.  Im Mittelpunkt steht in der Regel der zu erwartende Erkenntnisgewinn der Forschung der gegen die möglichen Konsequenzen und Risiken abgewogen werden muss (Güterabwägung).

Die Forschung mit Tieren stellt die beteiligten Personen vor eine besondere Herausforderung! Neben den allgemein gültigen Anforderungen an eine gute wissenschaftliche Praxis müssen entsprechend der deutschen Gesetzgebung aus der Verantwortung des Tieres als Mitgeschöpf (Art. 20a GG) weitere Aspekte berücksichtigt werden. Der Begriff Tierversuch wird im §7 des Tierschutzgesetztes definiert als Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere verbunden sein können. Zusätzlich besagt der §1 des Tierschutzgesetzes, unter anderem dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Dementsprechend sind unter definierten Rechtfertigungsgründen (oder Voraussetzungen) Belastungen bzw. Einschränkungen für Tiere und ihr Wohlbefinden zulässig, so dass die Durchführung von tierexperimentelle Versuchsvorhaben rechtlich legitimiert ist, wenn ein vernünftiger Grund für deren Durchführung gegeben ist. Ob der vernünftige Grund für ein Versuchsvorhaben gegeben ist, muss vor Beginn jedes Versuchsvorhabens bei der Antragstellung im Zuge einer ethischen Abwägung individuell geprüft werden. Wissenschaftler und Behörden sind hierbei verpflichtet, die Notwendigkeit und Angemessenheit des geplanten Tierversuchs zu prüfen und gegen die zu erwartende Belastung abzuwägen.  Bei dieser Prüfung steht vor allem das sogenannte 3R Prinzip im Vordergrund. So muss geprüft werden, ob ein Tierversuch nicht durch Alternativmethoden ersetzt werden kann (Replacement), wie die Zahl der im Versuch eingesetzten Tiere auf ein Mindestmaß reduziert werden kann (Reduction) und wie die Bedingungen für die Tiere im Versuch so optimiert werden können, dass eine möglichst geringe Belastung für die Versuchstiere besteht (Refinement). Insbesondere muss in jedem konkreten Einzelfall mit viel Sachkenntnis beurteilt werden, was die Belastungen durch einen Versuch für die Tiere der jeweiligen Spezies auch in Abhängigkeit ihrer Leidensfähigkeit bedeuten.

Neben den genannten juristischen Grundlagen stellt sich jedoch die moralische Frage nach der Mensch-Tier-Beziehung, d.h. ob Tiere überhaupt für Versuchszwecke eingesetzt werden dürfen und wenn ja welche Tiere? Abhängig von den persönlichen Wertvorstellungen legt jeder Mensch seine individuelle  Mensch-Tier-Beziehung fest und entscheidet sich in seinem alltäglichen Leben für oder gegen die die Nutzung von Tieren oder Materialien tierischen Ursprungs. Dementsprechend werden kontroverse Debatten über den Tierschutz und hier v.a. über Tierversuche geführt. Das  in Deutschland aber auch in ganz Europa gültige Tierschutzrecht ist bedingt durch diese unterschiedlichen Positionen der heutigen Gesellschaft. Geltende Richtlinien müssen geänderten  Standards der Gesellschaft und neu gewonnenem Wissen über Tiere angepasst werden, ohne dabei die Werte in Frage zu stellen, auf denen unsere Gesellschaft fußt. Zu diesen Werten gehören sowohl die Verpflichtung des Menschen gegenüber dem Tier auf einen möglichst schonenden Umgang wie auch die Verbesserung der Lebensumstände von Menschen und Tieren durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt in der Medizin, der Tiermedizin und den Lebenswissenschaften. Hierbei hat das Solidaritätsprinzip eine besondere Stellung. Dieses Prinzip beschreibt die Verpflichtung eines jeden Bürgers den Mitglieder der Solidargemeinschaft, zu denen auch  Hilfsbedürftige, Schwache und Kranke gehören, bestmögliche Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen. Dementsprechend muss der Gesetzgeber nicht nur abwägen welche Bedeutung Tierversuche für das Versuchstier haben, sondern auch welche Konsequenzen ein möglicher Verzicht von Tierversuchen für die Gesellschaft hätte.